Guten Tag, ich fühle mich schief -                                der Ärztemarathon beginnt

 

Es begann mit dem Gefühl "ich bin schief".
Mein Mann fragte immer „wie kann man sich denn schief fühlen?“
Wie das ging wusste ich auch nicht, aber ich wusste, dass es so war.
Da mein Vertrauen in die Orthopäden seit meiner Jugend aufgebraucht war, ging ich zu einer Heilpraktikerin.
„Guten Tag, ich fühle mich schief“
Ungläubige Augen schauten mich an „Sie fühlen sich was?“
„ich fühle mich schief“
„Na dann schauen wir mal“
Ergebnis: Hüftschiefstand, überall Verspannungen, 3 Osteopathie Sitzungen, 180€
Nun gut, fürs Erste ging es besser.
Einige Zeit später bekam ich ein Stechen links im Hinterkopf.
„Jetzt bekomme ich auch einen Schlaganfall“

 

So, nun kann man sich in solche Gedanken ja prima reinsteigern. Tat ich natürlich auch.

 "wird schon nicht so schlimm sein!"
- Symptome googeln
- lesen, lesen, lesen
- Grabstein bestellen

So war es auch bei mir. Ich befragte Dr. Google nach Anzeichen für einen Schlaganfall.
Ich stand jeden Tag vor dem Spiegel: Zunge einrollen, Zunge eindrehen – geht.
Mundwinkel hängen nicht. Finger mit geschlossenen Augen zur Nase führen, geht.
Auf einem Bein stehen, geht. Mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen, geht auch.
Zum Glück hat mich bei meinen akrobatischen Übungen nie einer gesehen....

Dadurch, dass mein Mann an Bluthochdruck leidet, besitzen wir ein Blutdruckmessgerät.
Dieses wurde von mir jeden Tag um die 20 Mal benutzt.
Jetzt ist so ein Blutdruck ja kein fester Wert und ändert sich nun auch mehrmals täglich.
Aber dieses Wissen wurde von einem Teil meines Kopfes an die Seite geschoben und jeder gemessene Wert falsch gewertet. Dr. Google jedes Mal nach den Werten befragt. Es gibt eine tolle Internetseite auf der man seine Blutdruckwerte eintragen kann und die Seite verrät einem dann wie gut oder schlecht die Werte sind. Auch wenn ich jeden Wert eingab und mir die Seite sagte „ihre Werte liegen im optimalen Bereich“ war ich dennoch überzeugt, dass das nicht stimmen kann.
Zu dem Stechen im Hinterkopf kamen dann auch noch Schmerzen im linken Arm.
„Na super, jetzt bekommst du also auch noch einen Herzinfarkt.“

 

Ab zum Hausarzt.
Blutdruck ok, aber lieber nochmal zum Internisten.
Herzultraschall, Langzeit-EKG, Belastungs-EKG, 24h Blutdruckmessung.
Alle Ergebnisse in Ordnung, der einzige Befund
"Belastungs-EKG musste wegen Muskelerschlaffung in den Beinen abgebrochen werden"
Na wenn das nicht motiviert…
Ok, jetzt wusste ich, dass mein Herz in Ordnung ist, aber das Stechen im Kopf blieb und die Schmerzen im linken Arm ebenfalls.
Der Internist hat bestimmt nicht richtig nachgeschaut. Da MUSS doch noch irgendwas sein.

 

Mein Mann wurde dann für ein Jahr von Mo.-Fr. auf Dienstreise geschickt.
Ich war mit unseren Tieren, dem Haus, meinem todlangweiligen Arbeitsplatz, dem Stechen im Kopf und den Schmerzen im Arm allein.
Ich wurde immer Motivationsloser, trauriger und müder.

 

Ich hörte von einem Orthopäden der eine Schmerztherapie anbot.
Ok, vielleicht kann der ja irgendwie helfen.
Drei Monate lang, saß ich also
Jeden Morgen um 06:00 bei ihm und ließ mir Spritzen in Nacken und Rücken geben.
Abgesehen davon, dass es wirklich weh tat, wenn er mit der Spritze einen Nerv traf, ergab sich sonst nichts.
Und plötzlich passierte etwas, für mich, wirklich schlimmes.
Ich war wieder auf dem Weg zu besagtem Orthopäden. Auf halber Strecke, Herzrasen, Schweißausbrüche, Schwindel, Zittern am ganzen Körper. Was ist denn jetzt los? Ich schleppte mich in die Praxis und wurde erstmal auf eine Liege gelegt.
Das war eine Panikattacke. Also sowas wünsche ich niemandem.
Jetzt ging das Drama nämlich erst richtig los. Jedes Mal wenn ich an der Stelle vorbei kam an der die erste Panikattacke auftrat, bekam ich wieder Angst, dass es sich wiederholt.
Es wurde so schlimm, dass die Panikattacken nicht mehr während der Fahrt auftraten, sondern schon bevor ich überhaupt ins Auto stieg.
Die Attacken wiederholten sich von nun an ständig.
Auf der Arbeit während eines Meetings, bei der Arbeit am PC, beim Spazieren gehen mit den Hunden, beim Hausputz, bei der Gartenarbeit, beim Fernsehen, ständig.

 Ich sprach mit einer Freundin darüber und sie empfahl mir eine Psychologin bei der sie selbst gewesen war.
Also ging ich im Februar 2014 zur besagten Psychologin.
Diagnose: Depressionen und generalisierte Angststörung.
Mmhh.. na dann.
Einmal die Woche zum Gespräch.
Vergangenheitsbewältigung, kognitive Verhaltenstherapie. Bloß keinem erzählen, die halten dich alle für verrückt.

 

Das Stechen im Kopf blieb. Es kam und ging wann es wollte.
Wieder zum Hausarzt.
Überweisung in die Radiologie. MRT vom Kopf. Ohne Befund.
Ok, aber irgendwo her muss das doch kommen.
Es kam ein Druckgefühl in den Ohren dazu und ständiger Schwindel also Überweisung zum HNO.
Jetzt krieg bei so einem Facharzt mal einen Termin. 3-4 Monate Wartezeit sind da ja nichts.
Hörtest, alles gut.
Gehörgänge – „lassen Sie mal die Wattestäbchen weg. Sie haben alles kaputt gemacht. Eine Woche Creme und Tropfen in die Ohren.
Ja war nett, hat aber gegen den Druck auch nicht geholfen.

Auf einmal traten Sehstörungen auf. Verschleiertes Sehen, Druckgefühl auf den Augen, Fremdkörpergefühle.
Nächster Facharzt – Augenarzt.
„Sie können einen Pilotenschein machen, Ihre Augen sind super“
Mal eben noch 35€ für einen Glaukom-Test dagelassen. Wenn man schonmal da ist.
Ok, Ohren gut, Augen gut, Stechen im Kopf, Sehstörungen und Ohrendruck immernoch da.
Weiter zum Gynäkologen, wer weiß, vielleicht findet der ja was – aber nein auch alles gut.
Wieder zum Hausarzt – großes Blutbild – auch alles gut.
Das kann doch gar nicht sein, ich habe was!
Nagut, dann eben doch zum Orthopäden.
Ich sitze im Besprechungszimmer, erzähle ihm von meinem Stechen im Hinterkopf. Ich saß dort in Winterjacke mit Schal um, er stellt sich hinter mich, reißt meinen Kopf nach links und es knallt.
Jetzt hat er mir das Genick gebrochen.
„Sie hatten da eine Blockade“
Ah ja. Und dann reißt du Trottel mir einfach mal eben an der Halswirbelsäule rum, ohne dir irgendwas genau anzuschauen!?
Das Stechen und der Ohrendruck blieben.
Ich war immer fester überzeugt, ich bekomme einen Schlaganfall und/oder einen Herzinfarkt.
Ich zog mich immer mehr zurück, hatte zu nichts mehr Lust. Und selbst wenn ich Lust zu irgendetwas hatte konnte ich es nicht tun, weil da ja noch die Panikattacken waren.
 
 

Ich googelte mich komplett um den Verstand.
Was könnte ich denn noch alles haben?
Borreliose? Toxoplasmose? Immerhin hast du ja eine Katze, da könnte das bestimmt sein.
Also wieder zum Hausarzt.

An dieser Stelle möchte ich mal sagen, dass mein Hausarzt inkl. seines kompletten Praxisteams meine Helden sind!!!
Jeden Morgen an dem ich mit Panikattacke und der festen Überzeugung einen Herzinfarkt zu haben, ohne Anmeldung in der Praxis stand, kümmerte man sich sofort um mich.
Ja jetzt könnte man sagen, „Der ist Arzt der muss das“, aber für mich waren diese Momente wirklich Gold wert.
Ich wurde jedes Mal gleich am EKG-Gerät angeschlossen und wurde beruhigt.
Auch jede noch so bescheuerte „Google-Idee“ von mir, wurde von meinem Arzt mitgemacht.
„Du willst auf Toxoplasmose getestet werden? Das hast du aber nicht!“
DOCH, ganz bestimmt.
„Du willst auf Borreliose getestet werden? Auch das hast du nicht!“
DOCH, ganz sicher. Google hat gesagt das ich die Symptome dafür aufweise.
„Du willst auf Diabetes getestet werden? Das hast du ebenfalls nicht!“
„Du willst zum Rheumatologen, weil Google dir gesagt hat, dass du Fibromyalgie hast? Das hast du auch nicht!“
ABER, Google… naja und so ging das immer weiter.
Er machte wirklich jeden Kram mit, er schrieb Überweisungen zu sämtlichen Fachärzten zu denen ich UNBEDINGT musste, weil ich ja alles hatte.
Er schickte sämtliche Blut- und Urinproben in Labore, las die Berichte der Fachärzte und versuchte alles um mich von der Idee „Schlaganfall/Herzinfarkt“ abzubringen, redete mir permanent ins Gewissen, dass ich unbedingt aufhören müsste Dr. Google zu befragen.
Er schaffte es nicht. Egal wieviel Mühe er sich gab, ich saß jede Woche 2-3 Mal in seiner Praxis, entweder gleich morgens vor der Arbeit, weil ich auf dem Weg dorthin eine Panikattacke erlitt oder mit Termin, weil ich wieder eine neue Google-Idee irgendeiner Krankheit hatte.
Er verordnete mir dystoLoges (homöopathisches Mittel gegen nervöse Störungen) und Vertigoheel (gegen Schwindel).
 
Letztendlich war ich von 2014 bis 2016 bei
drei Orthopäden,
zwei HNO-Ärzten,
einem Rheumatologen,
zwei Internisten,
zwei Zahnärzten,
zwei Gynäkologen,
vier Heilpraktikern,
zwei Physiotherapeuten,
einem Augenarzt,
zwei Neurologen
einer Psychologin

 

und hatte
ein MRT vom Kopf
ein MRT der Halswirbelsäule 
ein Belastungs-EKG
ein Langzeit-EKG
eine 24h-Blutdruckmessung
gefühlt 100 Blutabnahmen/Urinabgaben
gefühlt 100 EKG´s
Magenspiegelung
Magen-Ultraschall